Ursachen und Sündenböcke

Hier im NABU ist wieder mal die Diskussion gelaufen, ob die Katzen schuld sind am Verschwinden der Vögel. Weil ich ja Katzenfan bin und auch unser Heim mit einem Kater teile habe ich mich mal informiert und mir ein paar Gedanken gemacht. Ist ja wichtig, heraus zu finden, wer der Natur schadet, denn nur dann kann die Ursache beseitigt werden.

Also hier das Ergebnis meiner Recherche. Ist deutlich länger als meine anderen Blogs:

Da heißt es zum Beispiel: In Deutschland gibt es 14 Millionen Katzen als Haustiere. Plus ca. 2 Millionen verwilderte Katzen. Und diese Katzen fressen im Jahr 200 Millionen Vögel.

Diese Zahlen erscheinen mir recht hoch, also habe ich mal ein wenig recherchiert.

  • Die Zahlen sind reine Schätzungen. Resultierend aus der Befragung einiger weniger Haushalte. Es gibt keine Zählung, keine Erfassung, keine echte Statistik. Gibt ja keine Katzensteuer. Und die verwilderten Katzen kann eh keiner zählen.
  • Es gibt aber eine recht genaue Anzahl der Haushalte ( Hauptwohnsitz). 40,5 Millionen. Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Haushalte-Familien/Tabellen/1-2-privathaushalte-bundeslaender.html
  • Bei 14 Millionen Katzen wären das mehr als eine Katze pro 3 Haushalte. Das deckt sich nicht mit meinen Erfahrungen. Selbst wenn ich davon ausgehe, dass ein paar Haushalte mehr als eine Katze haben ist die Zahl von 14 Millionen Katzen wahrscheinlich viel zu hoch.
  • Es sein denn: Mindestens die Hälfte aller Katzen sind reine Wohnungskatzen. Deshalb sieht man sie nicht. Höchstens mal am Fenster sitzen. Nur: Diese Katzen jagen nicht. Weil sie können ja nicht raus. Und so viele Vögel fliegen nicht in die Wohnungen hinein.
  • Ich glaube gerne, dass die meisten Freigänger gerne jagen. Aber ich glaube nicht, dass alle Jäger auch was fangen. Unser Kater – und mir bekannte Katzen – die sitzen gerne an. Stimmt. Und manchmal springen sie auch Richtung Vogel. Aber sie kriegen ihn nicht. Viele dieser Katzen sind alt und faul und oft krank, die jagen nicht mehr ernsthaft.
  • Auch diese Zahl ist eine Schätzung: Es gibt im Jahr ca. 400 Millionen Vogelküken. (Das erscheint mir zu wenig, gefühlt. Hoffe ich zumindest). Wenn Katzen 200 Millionen Vögel, also davon die Hälfte, töten, dann gäbe es keine Vögel mehr. Denn Katzen sind nur für ca. 5% bis 20 % der getöteten Vögel verantwortlich (schon wieder eine Schätzung). Quelle: https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/gefaehrdungen/24661.html

Das ist immer noch viel, aber unter anderem die Ergebnisse der NABU-Zählaktion „Stunde der Gartenvögel“ seit 2005 zeigen, dass die generellen Artenbestände im Siedlungsraum, also dort wo Hauskatzen jagen, stabil sind. Zudem gibt es bei der „Stunde der Gartenvögel“ keinerlei Unterschiede in der Vogelhäufigkeit zwischen Gärten mit oder ohne Katzen. Es nehmen also eher andere Arten in Lebensräumen ab, die von Katzen weniger besucht werden. Das entscheidende Argument gegen die Katze als Hauptverursacher des Vogelsterbens ist jedoch, dass die Ursache ein Faktor sein muss, der aktuell neu hinzugekommen ist oder in deutlich verstärktem Maße wirkt. Die Zahl der Katzen steigt aber seit Jahren nur sehr leicht an und scheidet daher als Ursache des beobachteten deutlichen Bestandsknicks nach 1998 aus. Dies heißt natürlich nicht im Umkehrschluss, dass Katzen keine negativen Auswirkungen auf Vogelbestände haben. Es ist gut denkbar, dass Vogelbestände in unseren Siedlungsräumen ohne den Einfluss von Katzen deutlich höher sein könnten.“ Quelle: https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/gefaehrdungen/24661.html

Andere Ursachen für das Vogelsterben:

1) „Tatsächlich steigen die Vogelbestände im Siedlungsraum aber eher an, während sie vor allem in der Agrarlandschaft, aber auch im Wald eher abnehmen. Diese Rückgänge den Katzen anlasten zu wollen, wäre daher viel zu einfach. Die größte Bedrohung für die Artenvielfalt ist und bleibt die fortschreitende Verschlechterung von Lebensräumen durch den Menschen.“ Quelle: https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/gefaehrdungen/katzen/15537.html

2) Auch andere Tiere essen Vögel. Das ist einfach die Nahrungskette: Eichelhäher, Eichhörnchen, Ratten, Elstern, Krähen räubern Nester. Greifvögel wie Bussarde und Milane sind da auch nicht abgeneigt. Marder, Wildkatzen, Wildschweine…

3) Laut BUND NRW: „Bundesweit sterben mindestens 18 Millionen Vögel durch Vogelschlag an Glas. Glas tötet unspezifisch also potentiell alle Vogelarten, denn es wird in fast jeder Flughöhe verbaut. Es tötet Vögel unabhängig von Art, Alter, Geschlecht und Uhrzeit. Das belegen Studien aus den USA. Man kann natürlich sagen, dass Vögel, die oft vorkommen („Allerweltsarten“) natürlich auch oft betroffen sind, Vögel, die selten vorkommen nicht so oft, was aber nur an der vorhandenen Anzahl der Vögel liegt. Viele Vogelstationen haben regelmäßig Glas-Vogelschlag-Opfer aus verschiedensten Arten: Greifvögeln, Spechte (sogar sehr oft), Singvögel, Waldschnepfen, Zugvögel, standorttreue Vögel… einfach alles … bis hin zu einem Storch, bei dem die Kollision sogar live beobachtet wurde.“ sagt Dr. Judith Förster, Projektleiterin des Projektes „Vermeidung von Vogelschlag an Glas“ des BUND NRW. Zum Download der Publikation

4) Gerne im Visier: Die Windräder als Energieerzeuger. Windräder töten ca. 100.000 Vögel im Jahr. Jedoch: „Die größten Artenverluste wird der Klimawandel bringen. Die globale Erwärmung bedroht jede sechste Art“ schreibt die Zeit. Windräder (die sich nach nur einem halben Jahr energetisch amortisiert haben!) sind eine wirksame Waffe gegen den Klimawandel. Quelle: http://www.bund-rvso.de/windenergie-windraeder-voegel-fledermaeuse.html

5) Und dann natürlich das Insektensterben. Die meisten Jungvögel brauchen Insekten zum Aufwachsen. Weniger Insekten bedeutet auch weniger überlebende Jungvögel. Die verhungern dann im Nest. Und da heißen die Killer: Pestizide, aufgeräumte Gärten, intensive Landwirtschaft, Bodenversiegelung.

Für mich gilt nach dieser Recherche: 

  1. Nix Genaues weiß man nicht. Die Zahlen sind politisch.
  2. Ja, Katzen töten Vögel. Aber nicht in dem genannten Umfang. 
  3. Katzen sind nicht das Problem, nicht die Ursache für das Verschwinden der Vögel, wir Menschen sind es. Direkt oder indirekt.
  4. Katzen werden hier als Sündenböcke vorgeschoben, dass wir Menschen uns nicht an die eigene Nase fassen müssen.

7 Kommentare zu „Ursachen und Sündenböcke“

  1. Sehr guter Artikel, Ich bin es schon langsam ein bisschen leid: Dieser so häufig zu beobachtende Versuch, durch irgendwelche konstruierten Feindbilder von den wirklichen Problemen abzulenken.
    Co2 Ausstoß, Bodenversieglung durch falsches und zu vielen Bauen. Und natürlich industrielle Viehwirtschaft. Wer auf 80 Prozent der genutzten Agrarflächen nur 18prozent der benötigten Kalorien herstellt, der wird keine gerechte Welt schaffen. Und er verdrängt ohne Sinn Arten und lässt Spezies aussterben.
    Solange wir Regenwald abholzen lassen um Vieherden Weideland zu bieten, sind Katzen wirklich unser geringstes Problem.
    Schönes Wochenende,
    Katrin

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  2. Liebe Bloggerin, danke für diese umfangreiche und gut recherchierte Betrachtung zum Thema „Katzen und Vögel“. Ja, nichts genaues lässt sich ermitteln, was bleibt, ist der bei freilaufenden Katzen zu beobachtende Jagdtrieb, der sich aber nicht auf Vögel alleine beschränkt. Die Ratten und Mäuse in den Siedlungsgebieten, Scheunen und Schuppen möchte auch kein Mensch haben und deren Bekämpfung mit Gift und Fallen würde mir keinen Spaß machen.
    Wir alle, die Menschen, zerstören durch unsere Lebensweise die Lebensräume der Tiere und Pflanzen auf dieser Erde. Daher sollten wir uns lieber Gedanken um unseren „Fußabdruck“ machen, als Schuldige in der Tierwelt zu suchen.

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    1. Hallo Markus, danke für dein Lob und deine Hinweise auf Mäuse und Ratten. Gerade wenn man Vögel füttert, dann lockt man Mäuse und Ratten an. Und da ist so eine Katze echt ein Gewinn.
      Und ja, wir sollten uns mehr an die eigene Nase fassen als den Kätzchen ans Schnäuzchen.

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  3. Danke für’s nachrechnen!
    Wenn ich mich recht erinnere, habe ich das bereits in Biologie Klasse 7 gelernt. Also nicht das Nachrechnen, sondern den natürlichen Zusammenhang im Biotop.

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